Sie sind noch nicht Mitglied dieses Gedichtebandes ... jetzt inskripieren!
 
 


Sonntag, 26. Juni 2005

in tyrannis


reinhard mey
von Wand zu Wand sind es vier Schritte, Von Tür zu Fenster sechseinhalb, Aber das Fenster ist zu hoch Und viel zu weit fort von der Pritsche, Um dadurch irgendwas zu sehen, Außer dem Stückchen grauen Himmel. Jetzt wird es wohl so sieben sein. Sie haben mir die Armbanduhr Und meine Kleider weggenommen Und mich in Drillichzeug gesteckt.

Ich weiß nicht, was soll ich gestehen, Wozu die ganze Fragerei? Wozu das endlose Verhör, Wenn ich nicht weiß, wovon sie reden? Ich weiß nicht, was sie von mir wollen. Nur ein paar Stunden kann es her sein, Daß sie mich holten heute nacht. Sie haben mich hierher geschafft Mit ihren vorgehalt'nen Waffen, So wie man einen Mörder fängt.

Ich habe aufgehört zu schreien Und meine Hände tun mir weh Vom Trommeln an die Zellentür. Ich hab' das Essen ausgegossen Und meinen Essennapf zerschlagen. Sie haben mir das Haar geschoren Und mich verprügelt Mann für Mann, Und weil ich nichts zu sagen wußte, Nahmen sie mir die Baumwolldecke. Nachts ist es kalt in meiner Zelle.

Heut' habe ich den Fraß gegessen: Kohlrabi und schimmliges Brot. Nach dem Verhör von heute früh Fand ich mein Fenster zugehangen, Um Tag und Nacht nicht mehr zu trennen. Nicht ein Geräusch dringt durch die Wände, Nur meinen Atem kann ich hören Und um die Glühbirne, die nackt Über mir hängt an einem Kabel, Summt ungeduldig eine Fliege.

Nur manchmal hör' ich draußen Schritte, Dann kommen sie um mich zu holen, Und stell'n mich vor ein Mikrofon Und fragen tausendmal dasselbe. Erst wenn ich falle, darf ich sitzen, Dann führen sie mich in die Zelle, Und dann entfernen sich die Schritte Und kommen nach Stunden zurück, Oder vielleicht schon nach Minuten, Und dann beginnt alles von neuem.

Dann verbinden sie mir die Augen Und führen mich über den Flur Und spielen mir ein Tonband vor, Und schließlich kann ich meine Stimme Nicht mehr von ihren unterscheiden. Den Sinn für Zeit hab' ich verloren. Was für ein Pech die Fliege hat, Die immer um die Lampe kreist, In meine Zelle zu geraten, Nun, mitgefangen, mitgehangen.

Und sie zertraten meine Brille Und haben widerlich gelacht, Als mir meinen Ehering Mit einer Kneifzange zerschnitten, Weil ich ihn nicht abstreifen konnte. Ich werde irgendwas gestehen, Damit sie mich nicht länger quälen. Ich freu' mich, wenn es Suppe gibt, Und sie mir meine Decke bringen. Ich werde einfach unterschreiben.


 


... Link


 
last updated: 05.02.05, 22:36
menu
... home
... search
... topics
... 
... urb.antville.org
... antville home

recent
Made with Antville
Site Meter
seit  8189 tagen